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Bei der Auslegung von Vergabeunterlagen ist auf die objektive Sicht des Bieters abzustellen!

VK Nordbayern Beschluss v. 09.12.2021 – RMF-SG21-3194-6-36


Für die Auslegung von Vergabeunterlagen ist auf die objektive Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters abzustellen, der mit der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung vertraut ist.


Worum ging es?


Die Vergabekammer Nordbayern hatte im vorliegenden Fall in einem offenen Verfahren nach VgV die Lieferung von Atemschutzgeräten ausgeschrieben. Die in der Ausschreibung enthaltenen Leistungsbeschreibung enthielt unter anderem die Vorgabe eines Manipulationsschutzes der Atemschutzgeräte. So hieß es u.a. in dem dortigen Punkt: „Alle sicherheitsrelevanten Anbauteile dürften nicht unbeabsichtigt mit bloßer Hand zu öffnen bzw. zu entnehmen sein (Ausatemventil, Ventilkasten-Deckel, Sprechmembrane, Anschlussstück)“


Ein Mitbieter in dieser Ausschreibung beanstandete, dass beim Angebot des Bestbieters der in der Leistungsbeschreibung beschrieben Ventilkastendeckel ohne Werkzeug leicht zu öffnen sei. Seiner Ansicht nach bedeute „Manipulationsschutz“ jedoch, dass es gerade darauf ankäme bewusste Eingriffe mit bloßer Hand ausschließen zu können. Das Angebot des Bestbieters erfülle nicht die in den Vergabeunterlagen niedergelegten Anforderungen und sei deshalb gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV, aufgrund unzulässiger Änderung der Vergabeunterlagen, auszuschließen. Die Vergabestelle selbst hat der Rüge zunächst nicht abgeholfen, da ihrer Ansicht nach weder rechtliche noch tatsächliche Vergaberechtsverstöße vorgelegen hätten.


Die mit dem Nachprüfungsantrag befasste Vergabekammer Nordbayern sah dies ähnlich und wies den Antrag zurück.


Nach Ansicht der Vergabekammer Nordbayern liegen bereits die Voraussetzung für einen Ausschluss des Angebots des Bestbieters gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV nicht vor. Dabei führte die Vergabekammer Nordbayern aus, dass grundsätzlich eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen vorläge, wenn der Bieter nicht das anbietet, was der öffentliche Auftraggeber nachgefragt hat, sondern von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht. Ob eine solche unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen durch ein Angebot eines Bieters im Einzelfall vorläge, sei anhand einer Auslegung in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB sowohl der Vergabeunterlagen als auch des Angebots selbst nach dem jeweiligen objektiven Empfängerhorizont festzustellen.


Das bedeutet, dass es darauf ankommt wie ein objektiver Dritter diese Leistungsbeschreibung hat verstehen können. Insoweit ist für die Auslegung von Vergabeunterlagen auf die objektive Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters abzustellen, der mit der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung vertraut ist. Maßgeblich sei, so die Vergabekammer, nicht das Verständnis eines einzelnen Bieters, sondern die der abstrakt angesprochene Empfängerkreis die Leistungsbeschreibung und Vergabeunterlagen haben verstehen können.


Unter Anwendung dieser Maßstäbe gestützt auf die Formulierung „unbeabsichtigt“, kam die Vergabekammer zu dem Schluss, dass die Vergabeunterlagen lediglich einen Manipulationsschutz fordern, der vor einem unbeabsichtigten Öffnen mit der bloßen Hand schützen soll. Ein Schutz auch vor bewussten Handlungen oder jeglichem Öffnen werde hingegen nicht gefordert. Maßgeblich sei gewesen, dass das Merkmal „unbeabsichtigt“ das zentrale Element dargestellt habe, da dieses in der Bewertungsmatrix und in der Leistungsbeschreibung mehrfach und am häufigsten genannt worden wäre.


Dementsprechend erfülle das Produkt des Bestbieters daher die Anforderungen der Vergabeunterlagen und sei auch nicht auszuschließen.


Fazit:


Diese Entscheidung zeigt, dass öffentliche Auftraggeber bei der Erstellung von Vergabeunterlagen immer im Blick behalten sollten wie diese zu verstehen sind. Insbesondere sollte darauf geachtet werden, dass die Vergabeunterlagen in sich schlüssig sind und zu keinerlei Missverständnissen führen können. Aber auch Bieter sollten hier Vorsicht walten lassen, denn das Vergaberecht ist in diesen Punkten streng. Denn bereits geringfügige Abweichung von den, in der Leistungsbeschreibung oder grundsätzlichen Vergabeunterlagen, geforderten Leistungen führen grundsätzlich zum Ausschluss des Angebots. Bei etwaigen Zweifeln sollte der Bieter daher von der Möglichkeit Gebrauch machen Bieterfragen zu stellen, um Schwierigkeiten tunlichst zu vermeiden.


Zum Autor:

Rechtsanwalt Jan Wagner berät öffentliche Auftraggeber und private Bieter in allen Belangen des Vergaberechts.

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